Ballistische Schutzausstattung ist mittlerweile kein Produkt mehr, dass ausschließlich bei spezialisierten Händlern und Herstellern nach Verweis einer behördlichen oder privaten Legitimation erworben wird.
Im Internet schoss ein Shop für Tactical Gear nach dem anderen aus dem Boden und Schutzwesten, Plattenträger und Ballistik sind längst als Massenprodukt in der Bevölkerung angekommen. Sei es für professionelle Nutzer aus Polizei oder Militär oder die Privatperson, die sich schützen möchte. Einfache Weichballistik bis Ballistik der höchsten Schutzklasse SK 4 oder Level 4 sind nur noch einen Klick im Internet entfernt.
Mit der immer höheren Verbreitung ballistischer Schutzausstattung tut sich aber auch ein breites Feld hinsichtlich der Qualität dieser Ausrüstung auf und Käufer fragen sich immer öfters, worauf sie eigentlich achten sollten bei den zahlreichen Angeboten.
Daher soll dieser Beitrag Hilfestellung geben, wie hochqualitative ballistische Schutzausstattung von minderwertigen Produkten unterschieden werden kann.
1. Hersteller
Das erste Merkmal zum Erkennen von Qualität ist der Hersteller der Ballistik. Wie beim Autokauf gibt es namhafte Hersteller, die für zuverlässige Produkte bekannt sind und deren Produkte ohne Bedenken gekauft werden können.
Weiterhin kann sich an folgenden Fragen orientiert werden, um den Hersteller einzuschätzen:
- Ist das Unternehmen selbst Hersteller der Ballistik oder nur Händler?
- Hat das Unternehmen seinen Sitz in Deutschland oder in der EU?
- Beliefert das Unternehmen Behörden und Streitkräfte?
- Gibt es Referenzen in Fachzeitschriften oder von Kunden?
Unternehmen mit Sitz in Deutschland oder der EU sind in den meisten Fällen durch die geltenden Produktsicherheitsvorschriften und die hohen Anforderungen der Behörden schon gesetzlich gezwungen die Qualität ihrer Produkte hochzuhalten. Weiterhin ist der europäische Behördenmarkt durch einen Qualitätswettbewerb geprägt, sodass vor allem Unternehmen mit Staatsaufträgen bei der Qualität nicht nachlassen können.
Mit Lieferung an Behörden gehen meist Referenzen einher die in Fachzeitschriften oder den Webseiten der Unternehmen publiziert werden und an derer sich der Privatkunde orientieren kann.
Ein wichtiges Merkmal ist weiterhin, ob der Verkäufer selbst Hersteller oder nur Händler ist. Da sich der Markt für Tactical Gear in den letzten Jahren zum Massenmarkt entwickelt hat, stehen vor allem Händler unter Preisdruck. Vor allem in China wird dabei ein großes Maß an billiger ballistischer Schutzausstattung produziert, wodurch viele Händler die Chance genutzt haben und dort einkaufen, um sich im Wettbewerb einen Preisvorteil zu sichern.
Unternehmen mit eigener Produktion in Europa werden nicht versuchen durch billigen Einkauf im außereuropäischen Ausland den Preis zudrücken, sondern durch bessere Designs und Leistung ihre Marktstellung zu halten.
Zudem sind nach europäischen und deutschen Produktsicherheitsrecht1 Hersteller ballistischer Ausrüstung stets für Ihre Produkte verantwortlich. Händler jedoch nicht immer, insbesondere, wenn die Ballistik selbst von einem anderen Händler bezogen wurde, was bei Ballistik Importen nicht unüblich ist.
Die Auswahl eines zuverlässigen Herstellers ist daher der erste Schritt die Qualität einer Ballistik sicherzustellen.
1) § 3, § 6 ProdSG
2. Vollständige und ordnungsgemäße Zertifizierung
Das A und O, um die Qualität einer ballistischen Schutzausstattung zu beurteilen ist die ballistische Zertifizierung. Damit ist nicht nur gemeint, dass die Ballistik ordentlich getestet wurde, sondern auch das die Schutzklasse mit der behaupteten Leistung übereinstimmt.
Nicht selten finden sich im Internet unheimlich günstige Angebote für Schutzwesten, in denen behauptet wird, die Schutzleistung der Weste erfülle z. B. die SK 1. Die Schutzklasse 1 nach der „Technische Richtlinie (TR) Ballistische Schutzwesten“ der deutschen Polizei ist in Deutschland die gängigste Schutzklasse im Bereich des Schutzes vor Pistolen und Maschinenpistolen.
Schaut der Kunde sich nun die Bilder der angebotenen Schutzweste an, stellt er teilweise fest, dass auf dem Etikett auf der Rückseite bei Schutzklasse nicht SK 1 steht, sondern NIJ IIIA. Dies ist eine Schutzklasse aus dem amerikanischen Standard für ballistische Schutzausrüstung, der ähnlich aber von der Leistung nicht vergleichbar ist und insbesondere von Händlern gerne mit der SK 1 gleichgesetzt wird. Dass es sich gar nicht um eine SK 1 Schutzweste handelt und diese Gleichsetzung nach den Grundsätzen des ballistischen Schutzes falsch ist, ist zweitrangig.
Gerne tauchen in den Beschreibungen der Produkte dann noch Formulierungen auf wie z. B. „Schutzklasse NIJ IIIA entspricht SK 1“, um den Eindruck zu vermitteln, die Ballistik hat zwar eine andere
Schutzklasse, erfüllt aber trotzdem die Leistungsanforderungen der bei uns üblichen Schutzklasse. Ein Prüfer in einem deutschen Beschussamt würde sich bei solchen Aussagen die Haare raufen.
Der interessierte Leser kann an dieser Stelle den Unterschied zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Schutzstandard im folgenden Artikel nachlesen.
Neben der teilweisen falschen Bezeichnung der Schutzklassen einer Ballistik ist ein weiterer häufiger Mangel bei ballistischer Schutzausrüstung die unvollständige Zertifizierung. In Europa ist das Beschusswesen staatlich organisiert und wird durch Beschussämter ausgeübt.
So müssen Schutzwesten, die für Behörden bestimmt sind, bei diesen staatlichen Beschussämtern geprüft werden. Zwar gibt es auch private Beschusslabore, die legitime Beschusstests durchführen, diese werden aber von den meisten Behörden nicht akzeptiert, sodass es für die Hersteller Sinn macht, direkt bei den Beschussämtern zu beschießen. So kann die Schutzausrüstung ohne Probleme sowohl an staatliche als auch private Kunden verkauft werden.
2.1. Das Testprotokoll
Auskunft über eine ordnungsgemäße Zertifizierung bei einem Beschussamt oder ggf. einem Privateininstitut gibt das ballistische Testprotokoll. In dem Testprotokoll werden alle ballistischen Beschusstest festgehalten, die durchgeführt wurden, um den sicheren Schutz einer Ballistik zu bestätigen und deren Leistungsfähigkeit festzustellen.
Das Testprotokoll enthält alle wichtigen Informationen, die ein Kunde wissen muss:
- Welche Schutzklasse wurde getestet?
- Wie oft wurde beschossen?
- Wie viele Muster wurden beschossen?
- Auf welche Entfernung wurde geschossen?
- Wie wurde beschossen? Wurden Winkelbeschüsse und Hitze- und Kältebeschuss oder nur ein 90° Beschuss durchgeführt?
- Wurden alle Tests bestanden oder gab es Durchschüsse?
- Wie hoch sind die Traumawerte, also die Restenergie, die bei einem Treffer auf den Träger wirkt?
- Wurden Haltbarkeitstest wie z. B. ein Droptest mit anschließendem Beschuss durchgeführt oder ein Langzeittest im sogenannten Tumbler?
Diese Anzahl und Anforderung der Tests denkt sich der Hersteller oder Entwickler einer Ballistik nicht einfach selbst aus, sondern sind genau durch die ballistischen Schutzstandards und die jeweiligen Schutzklassen vorgegeben.
Allerdings kann es sein, dass von den Standardanforderungen eines ballistischen Schutzstandards abgewichen wird, weil der Auftraggeber einer Zertifizierung dies so möchte. Dabei kann es sich z. B. um einen Sonderbeschuss handeln, also einen zusätzlichen Beschuss der über die Anforderungen der eigentlich getesteten Schutzklasse hinausgeht.
Daher kommt auch das „+“, dass Käufer bei manchen Schutzwesten sehen. Eine SK 1+ bedeutet daher meist, dass neben der Zertifizierung nach SK 1 noch ein Sonderbeschuss durchgeführt wurde. Auch geänderte Testbedingungen hinsichtlich Temperatur oder ein zusätzlicher aufgesetzter Schuss sind möglich.
Wie sich der Leser jetzt denken kann, sind solch umfangreiche ballistische Test bei einem staatlichen Beschussamt oder privaten Institut nicht günstig. Beschusstests nach der TR (Technischen Richtlinie) für ballistische Schutzwesten kosten je nach Beschussamt mehrere tausend Euro und nach dem amerikanischen NIJ 0101.06 Standard mehrere zehntausend Euro.
Folglich kostspielig ist die ordnungsgemäße Zertifizierung einer Schutzweste. Daher zertifizieren meist nur etablierte Hersteller ihre Ballistik vollständig.
Händler, vor allem von günstig importierter Ballistik außerhalb der EU, machen sich oft nicht die Mühe einer vollständigen Zertifizierung. Nur weil ein Händler einer Ballistik angibt, die Ballistik sei nach der SK 1 getestet, heißt das nicht, dass die vollständige vorgeschriebenen Prüfung nach der technischen Richtlinie durchgeführt wurde.
Oft werden nur einfache Einzelbeschüsse mit nur einem Beschussmuster für wenige Hundert Euro durchgeführt, um eine Ballistik als „getestet“ zu verkaufen. Das ein Einzelbeschuss schon von der statistischen Varianz überhaupt nicht ausreichend ist, um ein garantiertes Schutzniveau zu bestätigen, sei dahin gestellt. Auch weitere Testbedingungen wie Winkelbeschüsse, Temperaturbeschüsse und die erwähnten Haltbarkeitstest fallen weg.
Es besteht somit gar keine Garantie, dass die Schutzweste wirklich den notwendigen Schutz bietet und am Ende eine Täuschung des Kunden auf Kosten derer körperlichen Unversehrtheit darstellt.
2.2. Unterschied zwischen TR- und NIJ-Standard
Selbst wenn wir eine ordnungsgemäß getestete NIJ IIIA Weste haben, kann ein fälschlicher Verkauf als SK 1, um das weiter oben genannte Beispiel aufzugreifen, trotzdem Folgen haben.
Eine Hauptunterscheidung zwischen der TR und dem NIJ Standard sind die unterschiedlichen Traumawerte. Der NIJ Standard schreibt ohne Unterscheidung der Art der Schutzweste ein Traumawert von maximal 44 mm1 vor. Dies ist die maximale Einbeulung, die ein Treffer im Körper hinterlassen kann. Grundsätzlich wird gesagt, dass Traumwerte zwischen ca. 20 – 40 mm das Überleben und Entfernen aus der Gefahrenzone sichern und Traumawerte unter 20 mm die weitere Einsatzfähigkeit.
Bedeutet im Klartext, dass eine Schutzweste, deren Traumawert über 20 mm liegt, nur das Überleben des Trägers sichert. Der Träger ist
danach aber nicht mehr einsatzfähig. Erhalt der Einsatzfähigkeit wird erst mit Traumawerten unter 20 mm erreicht. Daher unterscheidet die TR in Unterziehwesten mit Traumawerten bis 40 mm und Überziehwesten mit Traumawerten unter 20 mm2, um diesem Fakt Rechnung zu tragen.
Kauft ein z. B. behördlicher Kunde nun eine NIJ IIIA Weste, die ihm als „entspricht SK 1“ verkauft wurde, in der Erwartung im Einsatz trotz Treffer kampffähig zubleiben, kann eine böse Überraschung folgen. Denn eine solche Weste wird den Träger nicht kampffähig halten.
1) NIJ 0101.06 Table 4. P-BFS performance test summary
2) TR Ballistische Schutzweste Nr. 4.4
2.3. Zusammenfassung
Es ist daher von immenser Wichtigkeit, dass beim Kauf von ballistischen Schutzprodukten das ballistische Testprotokoll vorher vom Händler oder Hersteller angefordert wird und sich der Kunde vergewissert, dass alle notwendigen Tests und Beschüsse nach dem jeweiligen ballistischen Schutzstandard durchgeführt wurden. Etablierte Hersteller stellen diese zudem oft auf Ihrer Website direkt zur Einsicht zur Verfügung.
Weiterhin bestehen seit 2018 durch die neue EU-Verordnung für persönliche Schutzausrüstung VO 2016/425 neue Vorschriften, was die Produktsicherheit von ballistischer Schutzausrüstung angeht1. Ballistische Schutzausrüstung ist jetzt PSA (Persönliche Schutzausrüstung) der Kategorie III.
Für Ballistik, die seit spätestens 2020 an reine Privatpersonen in der EU verkauft wird, muss zusätzlich eine vollständige EU Baumusterprüfung bei einer notifizierten Stelle in der EU durchgeführt werden2. Die Ballistik wird anschließend mit dem CE-Kennzeichen und weiteren Informationen gekennzeichnet. Nur dann darf eine Ballistik an reine Privatkunden in der EU verkauft werden. Wird eine Ballistik ohne
Baumusterprüfung an reine Privatkunden verkauft, stellt dies einen Verstoß gegen das europäische und deutsche Produktsicherheitsrecht da und Hersteller oder Händler machen sich strafbar.
Privatkunden mit Behördennachweis können aber weiterhin auch nicht baumustergeprüfte Ballistik erwerben3.
Zusammenfassend soll also gesagt sein, dass eine ordentliche und vollständige ballistische Zertifizierung, am besten bei einem staatlichen Beschussamt, die größte Garantie bietet, dass es sich bei dem angebotenen Schutzprodukt um eine qualitativ hochwertige Lösung handelt.
Dabei sollte der Käufer vor Kauf immer das ballistische Testprotokoll überprüfen, um sicher zugehen, dass auch alle Test durchgeführt wurden.
1) Anhang I VO 2016/425
2) Art. 19 c) VO 2016/425
3) Art. 2 a) VO 2016/425
3. Ordentliche Beschriftung
Wenn eine Schutzweste oder Ballistik ordentlich zertifiziert ist, müssen sowohl nach dem ballistischen Schutzstandard und der oben erwähnten PSA-VO der EU bestimmte Angaben auf dem Etikett der Ballistik gemacht werden1. Anhand dieser Angaben können verschiedene Informationen gewonnen werden. Daher hier beispielhaft aufgeführt, welche Angaben ein Hersteller oder Händler zwingend auf einer Ballistik machen muss:
- Hersteller
- Fertigungsjahr- und Monat
- Fertigungsnummer
- Schutzklasse
- Nummer des Prüfprotokolls
- Name der Prüfstellen
- Modellbezeichnung und Größentabelle
- Pflegesymbole
- Ablauf der Garantiezeit
- Körpernaheseite
- Das CE-Kennzeichen (Für baumustergeprüfte Ballistik)
- Die Nummer der Notifizierten Stelle die, die Baumusterprüfung durchgeführt hat (für baumustergeprüfte Ballistik)
Anhand dieser Informationen kann der Nutzer einen umfassenden Eindruck über die Qualität der Ballistik gewinnen und fast alle der bisher angesprochenen Punkte überprüfen. Kommt die Ballistik von einem bekannten Hersteller? Stimmt die Schutzklasse mit der beworbenen Klasse überein? Hat die Ballistik eine Baumusterprüfung? Über diese und weitere Fragen gibt eine korrekte Beschriftung Auskunft.
1) Anhang II Nr. 1.4 VO 2016/425
4. Garantie
Ein weiterer wichtiger Fakt auf dem Käufer ballistischer Schutzausstattung achten sollten, ist die angegebene Garantie. Nicht nur sagt die Garantie des Herstellers etwas über die Qualität aus, da längere Garantien meist auch mit einer höheren Qualität einhergehen, sondern auch über die ordentliche Zertifizierung.
Auf Ballistik, die nach der deutschen TR für ballistische Schutzwesten zertifiziert ist, muss der Hersteller 10 Jahre Garantie1 auf die
Schutzeigenschaft geben. Beim amerikanischen NIJ Standard gibt es keine Vorgabe hinsichtlich der Länge der Garantie. Der Hersteller muss lediglich eine Garantiezeit angeben.
Daher ist eine lange Garantiezeit nicht nur ein Qualitätsmerkmal, sondern auch ein Indiz über eine ordnungsgemäße und vollständige ballistische Zertifizierung.
1) TR Ballistische Schutzwesten Nr. 4.2
5. Fazit
Die Welt des ballistischen Schutzes kann beizeiten eine undurchsichtige sein. Dieser kleine Leitfaden soll daher als Hilfe dienen, zwischen den zahlreichen Angeboten eine hochwertige Ballistik für professionelle Nutzer als auch den Privatkunden zu finden, die einen stets sicher und gesund wieder nach Hause bringt.